Samstag, 15. April 2017

Verpasste Chancen?

15.4.2017

Verpasste Chancen?


Immer wieder stellt man sich im Leben die Frage, was wäre wenn gewesen. Ja was wäre gewesen, wenn ich nicht Mitte der 60er auf die Welt gekommen wäre?  Heute wären meine Eltern vielleicht aufmerksamer mit einigen Zeichen umgegangen. Würden vielleicht eher hinsehen, wenn ich Röcke meiner Schwester anzog, Kleidersäcke auf dem Dachboden durchwühlt, an Fasching einen Prospekt zeigte und das Indianermädchen sein wollte. Vielleicht hätten sie auch mit mir ausführlicher gesprochen, als sie in meinem Zimmer Strumpfhosen und andere Mädchenkleidung fanden. Was wäre gewesen, wenn sie ein paar Jahre später wieder Röcke bei mir fanden und ohne Kommentar weg nahmen. Was wäre gewesen wenn sie einmal mit mir darüber  geredet hätten. Warum habe ich nie etwas gesagt?
Ich hatte Angst.
Ich wollte normal sein, hatte schreckliche Angst schwuler zu sei. Das das was anderes sein könnte wusste  ich nicht. Woher auch? Es gab kein Internet, in der Schule gab es zwar schon in der 3. Klasse Sexualkunde aber da gab es das Thema Transsexualität nicht.
Und doch gab es keine 500 m von meinem Elternhaus einen Fall, wo der Sohn als Frau lebte, aber weil das in einer Kleinstadt schon ein Skandal und eine Schande war von dort weg zog. Hätte ich hier als Kind wirklich sagen können hallo ich bin eigentlich ein Mädchen? So war ich froh, wenigstens mit meiner Cousine und den Nachbarsmädchen spielen zu können, und später auch  mit den Freundinnen  meiner Schwester. Wir spielten verkleiden, mit Barbie-puppen, mit Barbie-Pferden und allem, was Mädchen so spielen. Und in der Schule? Ich war immer der kleinste, schüchtern und ruhig. Ich raufte nicht und Fußball spielen war und ist mir ein graus. Hätte ich beim Sport die Wahl gehabt, ich hätte mit den Mädchen Geräteturnen gemacht. Aber da es damals nur normal oder schwuler gab, und das wohl das absolut schlimmste war, was es gab, lebte ich meinen Traum weiter heimlich. Gleichzeitig sog ich das wenige was es mal in den Zeitschriften, die meine Oma oder meine Mutter lasen, was dort zum Thema Umoperieren, wie es damals hieß in mich auf. Aber ich traute mich nicht dies auch zu wollen. Ich kam mir falsch vor, aber ich quälte mich durch das Leben. Ich hatte inclusive meiner Frau drei Freundinnen. Die erste eroberte mich und ich ließ mich darauf ein. Aber schon damals mit mehr Unbehagen  als Liebe. Die zweite liebte ich tatsächlich, weil sie mir so sehr ähnlich war, sie hatte sogar die Dauerwellen Frisur, die ich das Jahr zuvor hatte. Aber nach einem halben Jahr war Schluss.  Meine Frau lernte ich Mitte der 80er in der Schule kennen, seit 1990 sind wir zusammen, seit Anfang der 2000er sind wir verheiratet. Während all dieser Jahre führte ich immer ein heimliches Doppelleben. Warum? Ich konnte nie aufhören, meinem waren ich zu entkommen, auch wenn ich es immer mal wieder versucht habe. Ich konnte mich aber auch nie outen, weil es in den 80er noch immer keine Infos über Transsexuelle gab. Da gab es nur Transvestiten. Aber so sah ich mich auch nicht. Nein, deren übertriebenes zur Schau gestellt,  diese Schrillheit stieß und stößt mich ab, so wollte ich nicht sein. Ich wollte eine ganz normale Frau sein und betete um ein Wunder. Ich liebe meine Frau und habe Angst sie zu verlieren.  Wie kann ich mich da aber outen? Und so vergingen die Jahre. Ich war immer, mein ganzes Leben lang traurig und unzufrieden. Ich träumte immer die selben Träume, egal wo, egal wann. Seit Mitte der 90er habe ich Internet. Endlich fand ich, was ich bin. Ja es erschreckte mich, aber ich merkte auch ich bin nicht alleine. Das half ein wenig. Aber dennoch konnte ich mich nicht öffnen, auch wenn dies mein größter Wunsch war. Nur kommt man im Leben einmal zu dem Punkt, an dem es nicht mehr anders geht. Ich hatte immer wieder einmal solche fast Anläufe. Aber es war einfach noch nicht soweit. Das hat sich Anfang dieses Jahres geändert. Ich habe die Kraft gefunden mich so zu akzeptieren, wie ich bin. Ich habe gemerkt, das ich so wie ich jetzt lebe nicht mehr weiter leben kann. Die Kraft ein Doppelleben zu führen, sich immer verstecken zu müssen, seine eigenen Gefühle ständig unterdrücken zu müssen habe ich nicht mehr. Es hat mich dennoch eine unendliche Überwindung gekostet, mich meiner Hausärztin an zu vertrauen. Und ich hatte schon lange kein so großes Herzklopfen mehr als an dem Tag, an dem ich den Termin beim Psychiater/Psychotherapeuten ausgemacht habe. Ja ich habe für mich riesige Schritte unternommen, ich bin wohl soweit alles aufzugeben, was mein bisheriges Leben ausmacht. Alles. Und das nur, damit ich endlich so sein kann, wie ich immer hätte sein sollen.

Verpasste Chancen habe ich geschrieben. Ja die gab es viele. Was wäre wenn? Ja was hätte werden können? Ich kann meine Vergangenheit nicht ändern, ihr nach zu trauern ist einfach, die Zukunft gestalten, sie in die richtige Bahn zu lenken ist schwer. Das Ziel zu erreichen ist möglich und ich glaube daran, das es möglich ist.

Aber es gibt vieles was mir Angst macht. Ich habe keine Freunde die ich verlieren könnte. Ich habe eine Frau die ich verlieren kann. Ich habe eine Arbeitsstelle die ich riskiere. Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich daran denke, wie sehr männlich ich aussehe und wenn ich daran denke, das die Haare oben auf dem Kopf immer lichter werden. Ja ich habe die Bilder von Betroffenen gesehen, die im fortgeschrittenen Alter sind und egal wie sie sich bemühen, wird man es ihnen fast immer ansehen, das sie einen ziemlich männlichen Körper haben. Ich habe den allergrößten Respekt  vor ihnen, das sie trotzdem zu sich stehen und dennoch beneide ich all die, die das schon in jungen Jahren konnten. Und damit bin ich wieder bei den verpassten Chancen, denn wenn es eines gibt, was andere daraus lernen können, so ist es die Tatsache, das man vor Transsexualität Transidentität nicht weglaufen kann. Es macht keinen Sinn, da man das schon immer ist. Das ist kein Hobby, keine Marotte, das ist nichts schlechtes oder gutes, das ist einfach so. Leider wird man mach mal erst im Alter schlauer. Ich gebe Euch also einen guten Tipp, kämpft sofort für Euch, sonst weint Ihr nur Euren verpassten Chancen hinterher. Es ist ein harter Weg und ein ständiger inner Kampf und ich weiß auch immer noch nicht, wie ich das meiner Frau beibringen werde. Das ist im Moment das größte Problem in meinem Leben.

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