Samstag, 8. April 2017

Andrea bringt den Stein ins rollen

23.3.2017

Andrea bringt den Stein ins rollen.

Gestern war ein wichtiger Tag. Zum einen kam Kleid Nummer 2 und der Lippenstift in Nude an. Beides passt perfekt (also fast). Und zum anderen hatte ich ja den Termin bei meiner Hausärztin wegen meiner Ferse um 17 Uhr. Da das Päckchen eingetroffen war, hörte ich mit der Arbeit eher auf und fuhr über die Packstation nach Hause. Dort wusch ich mich und zog, da ich bis zum Arzttermin noch Zeit hatte das neue Kleid an. Mir gefällt es sehr gut, es passt auch fast richtig, an den Hüften fehlt es leider. Der Lippenstift glänzt nur wenig und fällt kaum auf. Dann zog ich mich wieder um und fuhr los. Ich war ganz schön aufgeregt und war mir immer noch nicht sicher, ob ich wirklich den Mut habe mit meiner Ärztin über mich zu reden. Der Hammer war allerdings, das ich zu dem Termin einen Tag zu früh da war. Dadurch dass ich mich fast ausschließlich gedanklich nur noch mit mir befasse habe ich den Tag verwechselt. Ich durfte trotzdem bleiben, musste aber ein wenig im Wartezimmer warten. Es waren nicht all zu viele Patienten da und so dauerte es auch nicht all zu lange. Im Behandlungszimmer musste ich dann noch eine ganze Zeit warten, bis die Ärztin kam. Während der Wartezeit wurde ich seltsam ruhig. Als sie kam, fragte sie mich, wie sie mir helfen könne. Ich sagte ihr, dass ich zwei Sachen habe und wir mit dem Einfachen anfangen. So sah sie sich die Fersen an und ich bekam eine Überweisung zum Radiologen. Dann sagte sie, sie haben gesagt da ist noch etwas zweites. Ich sagte ihr, das das nicht so einfach ist, das trage ich jetzt sein weit mehr als 40 Jahren mit mir herum aber jetzt  geht das einfach nicht mehr. Das ganze ist für mich nicht so einfach zu erklären, auch wenn es dies eigentlich, jetzt wo ich es schreibe ganz einfach ist. Ich bat sie meine Aufzeichnungen zu lesen, was sie dann auch tat. Sie las recht die Seiten aufmerksam und wie ich fand recht regungslos und sagte dann, sie weiß schon um was es sich handelt. Ich fand sie sehr verständnisvoll und es entwickelt sich noch ein längeres Gespräch. Sie sagte auch, sie könne mich verstehen und bedankte sich dafür, das ich ihr so sehr vertraue das ich es ihr als ersten Menschen gesagt habe. Sei meinte auch, dass das heute nicht mehr so wäre wie früher, und das die Menschen toleranter wären und das man sicherlich Freunde verlieren wird, aber um die wäre es eh nicht schade und das mich meine Frau sicher verstehen lernen wird, wenn sie sieht wie sehr ich leide.
Sie versprach mir mit einer Bekannten von ihr, die auch Ärztin ist sich  nach Adressen zu erkundigen von Psychologen bzw Therapeuten die sich mit dem Thema Transidentität auskennen. Als ich dann wieder die Praxis verlassen hatte konnte ich es fast nicht glauben, dass ich also doch getan hatte. Mittlerweile bin ich ganz froh diesen Schritt endlich gegangen zu sein, denn objektiv gesehen kann es nicht mehr so weiter gehen. Ich leide sehr an dieser Situation, schlafe schlecht und eigentlich leidet alles darunter.

Als ich nach Hause kam, war meine Frau im Bad. So testet ich im Gästeklo den neuen Lippenstift. Er ist nur leicht rosa und fällt farblich fast nicht auf. Er hat auch nur einen ganz leichten Schimmer. Also fast perfekt. Ich ließ ihn tatsächlich drauf, bis wir ins Bett gingen. Da er beim Essen und Trinken leider wie so viele andere auch abgeht, zog ich ihn noch ein zweimal nach. Bemerkt hat ihn meine Frau nicht, denn es gab keine Frage oder Bemerkung dazu. Und so machte es es auch heute morgen wieder, bevor ich in die Arbeit ging. Ist schon ein seltsames Gefühl, wenn man das nicht gewohnt ist, aber das werde ich ja jetzt langsam ändern. Ich habe auch schon bei Amazon nachgesehen, ob es einen haltbareren Lippenstift in diesem Farbton gibt, das ist aber gar nicht so leicht so einen zu finden. da man die Farbe ja nicht richtig sieht. Ich bin da wohl irgendwie auf den Geschmack gekommen. Ich brauche morgend und abends, sehr zum Leidwesen meiner Frau, deutlich länger im Bad, da ich mich ja jetzt regelmäßig eincreme und auch an anderen Stellen rasiere als zuvor.

Meine Gedanken kreisen auch immer wieder um mein weiteres Leben. Wie werden die Kollegen reagieren. Einige können es garantiert nicht glauben, das der ruhige seriöse Herr nun eine Kollegin ist. Wie werden meine Verwandten reagieren? Wie die Nachbarn, mit denen wir nie ein besonders gutes Verhältnis hatten? Das wird bestimmt auch die größte Sorge meiner Frau sein, denn das die davon nichts mitbekommen, wird sich nicht vermeiden lassen. Es wird ja eh über jeden hergezogen, der gerade nicht mit dabei ist...Allerdings kann ich mir im Augenblick auch schwer vorstellen, draußen in Frauenkleidern herum zu laufen. Nicht weil ich es nicht will, sondern, weil ich dafür erst üben muss. Ich will nicht als Freak durch die Welt laufen, obwohl das vielleicht einfache ist, da muss man nicht wieder so viel Rücksicht auf andere nehmen. Aber eigentlich will ich ja nur eine ganz normale Frau sein. Ich finde aber auch, das bei mir das Frau sein nicht an Kleider gebunden ist. Sich im falschen Körper zu befinden heißt nicht sich einfach mal Kleider anziehen und gut ist es. Das wär zu schön. Nein für mich heißt das körperlich so gut wie möglich weiblich werden. Alles andere ist Beiwerk das zwar dazu gehört aber nicht so wichtig ist. Wichtiger für mich ist endlich den weiblichen Körper zu bekommen, mit dem ich schon hätte geboren werden sollen. Das dumme so ist, das man nun erst einmal als Mann in Frauenkleidern rumlaufen muss damit man beweisen kann, das man auch so leben kann. Ich konnte als Frau auch die letzten 50 Jahre als Mann leben, irgenwie auch wenn ich das nicht wollte. Ach könnte es doch einen einfacheren Weg geben, einfach eine Pille schlucken oder die gute Fee kommt und man hat einen Wusch frei. Ich würde das sofort und ohne zögern machen. Ich möchte doch auch endliche mit meinem inneren und äußeren eins werden. Es ist als ob man schielt. Man sieht zwar, aber man möchte die Welt deckungsgleich machen.

Warum gibt es mein Lippenstift nicht auch in der Version, die den ganzen Tag hält? Das sind jetzt neue Fragen, die ich mir vor kurzem noch nicht  gestellt habe, aber es ist ein Jahr des Wandels. Ich hätte auch vor ein paar Jahren nicht gedacht, das der innerliche Druck mich endlich zu mir selbst zu bekennen einmal so stark werden wird. Das kann vermutlich nur ein Betroffener selbst verstehen. Der Druck wurde so stark, das ich langsam das Ventil öffnen musste.

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