Sonntag, 9. April 2017

Nichts

29.3.2017

Nichts

Als ich heute Morgen aufgewacht bin, habe ich nichts gefühlt. Nicht das ich männlich bin, nicht das ich weiblich bin, nein da war gar nichts. Nur totale Müdigkeit. Das hat mich irgendwie erschreckt. Die Achterbahnfahrt der Gefühle hatte urplötzlich einen Stopp eingelegt. Alles war irgendwie so weit weg. Heute ist wieder mein Sporttag. Insgeheim mag ich diesen Tag nicht so, weil ich so nichts drunter anziehen kann, was mich verraten würde. Und so komme ich mir heute irgendwie noch unvollständiger vor wie sonst. Gestern war ich übrigens total mutig. Ich habe mir in einem Drogeriemarkt meine ersten 24h Lippenstift gesucht und gekauft. Mit erstaunlich wenig Herzklopfen ging ich an die Kasse und zahlte. Es war wie das ganz normalste auf der Welt. Die Kassiererin war freundlich, also ein ganz normaler Einkauf.
Es fällt mir auch heute in der Arbeit ziemlich schwer mich auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren. Zu stark befasse ich mich nur mit mir. Alleine kämpfen ohne Wegweiser ohne Plan ohne Hilfe? Kann man das schaffen? Ich wünschte es gäbe einen einfacheren Weg. Gestern habe ich zum ersten Mal so etwas wie stolz gefühlt Transident zu sein. Komisch? Ja, es gibt sie aber nicht so viele, da ist das schon etwas besonderes. Ob Außenstehende, nicht betroffene das auch so sehen oder verstehen, was in einem Transidenten so vor sich geht, ein Leben lang eine Rolle spielen die einem nicht passt, die einem nicht zusagt? Können Sie verstehen, das man, nur damit man endlich man selbst sein kann alles riskiert - Ehe, Job, sozialen Status, Familie ect. Wenn man, wie ich nie Anfeindungen und Diskriminierungen ausgesetzt war und diese in Kauf nimmt, weil das besser erscheint, als das ganz normale sichere Leben, das man bisher geführt hat. Es ist mittlerweile Mittag. Ich habe mich auf der Toilette im Spiegel betrachtet. Der Lippenstift hält wohl heute und das neue 24h Make-up sieht auch gut noch immer gut aus. Es fällt wohl nur bei genauer Betrachtung auf oder wenn man weiß das es dort ist. Schade, das mir die beste Freundin fehlt, die mich in Sachen Schminke etwas berät, aber bislang hab ich es ganz gut hinbekommen. Dezent - äußerst Dezent. Ich bin heute auch wieder nicht in die Kantine gegangen und wieder gibt es nur einen Apfel zum Mittag und den ganzen Tag viel Wasser und Tee zum Trinken. Auch wenn es mit dem Fasten schwer ist, werde ich das weiter durchhalten. Wenn man sein Leben schon ändert, dann bitte richtig. Irgendwie ein seltsamer Tag. Ich fühle immer noch nichts. Wie eine große Leere. Ich bin auch zum ersten Mal seit langem kein bisschen traurig. Ich weiß nicht wie ich das nun deuten soll. Ist das eine Abwehrreaktion vor mir selbst, vor der Wahrheit? Wer oder was bin ich. Heute habe ich darauf keine Antwort.
Morgen früh um 8:10 Uhr bin ich bei meiner Ärztin. Ich bin sehr gespannt, was die zu sagen hat. Hoffentlich mehr als die Beratungsstelle, auf deren Antwort ich nun schon seit 13. März warte. Das ist so frustrierend.

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