Samstag, 8. April 2017

Frühlingserwachen

27.03.2017

Frühlingserwachen

Der Frühling ist gekommen und so wie die Blätter sprießen möchte ich auch am liebsten aus meiner Haut fahren und endlich ich sein. Samstag war ein schöner Tag, nicht nur wegen des warmen Wetters. Mein Frau war vormittags bei ihren Eltern. Ich arbeitete erst im Garten und nutzte dann die Gelegenheit den Vormittag ganz als fast richtige Frau zu verbringen. Das erste mal mit Make-up, das gestern gekommen war. Das ist ein flüssiges im Nude Farbton. Das lässt sich ganz leicht auftragen. Selbst für jemanden wie mich, der das zum allerersten mal gemacht hat. Ich war mit dem Ergebnis total zufrieden. Ich genoss das schminken total und als ich dann noch das Kleid, mit Strumpfhose an hatte, hatte sich meine ständige Nervosität ganz verflüchtigt und ich fühlte mich endlich wohl in meiner Haut. Nur die Traurigkeit, das da immer noch eine männlicher Körper in dem Kleid war, die ging nicht vorbei. Als es halb 12 Uhr war kam die Meldung das die nächsten Päckchen eingetroffen waren. So zog ich mich schweren Herzens und doch froh gelaunt um, um die Sachen abzuholen. Ich hatte mir 2 Bücher zum Thema Transidentität bestellt, und die waren nun gekommen. Da ich fand, das das Make-up kaum zu sehen war ließ ich Make-up und Lippenstift dran und fuhr los. Ich hatte das Make-up sozusagen schon am Abend vorher getestet. Da es im Wohnzimmer beim Fernsehen nicht so hell war, viel es da sowieso schon nicht auf, jedenfalls gab es keine Reaktion darauf. Vielleicht ist das Make-up ja wirklich so gut, dass man es erst bei genauer Betrachtung sieht. So fuhr ich also zum ersten mal geschminkt in der Öffentlichkeit herum. Auf dem Weg vom Parkplatz zur Packstation und zurück begegneten mir viele Menschen, aber es gab keine Reaktion. Wahrscheinlich sieht einem ein Fremder in der Masse eh nie so genau an, obwohl es sehr hell war und die Sonne nur so strahlte. Unterwegs bekam ich einen Anruf von meiner Schwiegermutter. Wir wollten uns alle zum Essen um halb 1 Uhr treffen. Das passte zeitlich prima, ich konnte allerdings so nicht mehr zu Hause vorbei fahren. Also fuhr ich so wie ich war zum Essen. Ich war zuversichtlich, dass das Make-up und der Lippenstift wieder nicht bemerkt würden. Meine Frau und ihre Eltern waren kurz vor mir im Restaurant eingetroffen. Wir begrüßten uns und setzten uns an den Tisch. Das Restaurant hat ziemlich kleine Tische und so sitzt man sich schon recht nah gegenüber. Meine Frau links von mir. Aber auch hier schien niemand etwas zu bemerken. Es lag auch nicht daran, dass das Licht innen nicht so gut war, denn als wir uns später außen im hellen Licht verabschiedeten schien keiner etwas zu bemerken. Da meine Frau nochmals mit zu ihren Eltern fuhr, konnte ich meine Päckchen in Ruhe zuhause auspacken. Auch dazu zog ich mich wieder richtig an. Das war einfach ein Gefühl wie Freiheit und alles ist richtig - zumindest mit gewissen Einschränkungen. Mit meiner Frau fuhr ich später in ein Einkaufscenter. Auch jetzt war ich noch geschminkt und trug den Lippenstift. Auch hier gab es keine Reaktionen. Ich war ganz erfreut darüber, auch wenn ich den Unterschied im Spiegel beim Schminken ganz deutlich gesehen habe.
Am Sonntag hatten wir im Haus ziemlich viel zu tun. Auch an diesem Tag war ich die ganze Zeit geschminkt. Als wir alles erledigt hatten, und jeder etwas für sich machte, schaute ich mir im Internet viele Seiten über Transidentät an, las ein paar Blogs und sah Videos dazu bei Youtube. Ich wurde dabei unheimlich traurig und beneidete alle, die schon in jungen Jahren zu sich stehen konnten und den Weg gegangen sind, den ich noch vor mir habe. Da sind zum Teil so schöne Frauen darunter, denen man ganz und gar nicht mehr ihre Vergangenheit ansieht. Das macht mich besonders traurig und die Melancholie ließ auch den ganzen Tag nicht mehr los. Ich wünschte ich hätte die Kraft mich zu outen, aber wenn ich dann meine Frau über Zukunftspläne reden höre, wird mir ganz komisch, schließlich wird sich ihre Welt auch total wandeln. Entweder mit oder ohne mir. Beim Fernsehen abends war meine Frau mit dem Laptop beschäftigt, Andrea stöberte mit dem Handy bei Amazon nach Kajalstiften, Kleidern ect. Nach dem Tatort gingen wir bald ins Bett, Erst natürlich abschminken, waschen und eincremen. Das mache ich nun schon mehr als eine Woche und ist schon ein festes Ritual geworden. Im Bett war ich mental so schlecht drauf, das ich drauf und dran war mich zu outen. Irgendwie kamen wir im Gespräch darauf, das ich nicht wüsste, wer ich bin. Sie fragte, du weißt nicht wer du bist? Wäre sie jetzt noch weiter darauf eingegangen, wäre es wohl passiert, so (leider?) nicht. So träumte ich mich als Frau in den Schlaf und wachte wieder früh auf, natürlich kreisten die Gedanken nur um ein Thema.
Heute Morgen dann ging ich auf meiner Gästetoilette meinem neuen Morgenritual nach, Gesicht eincremen, schminken, Lippenstift auftragen. Diesmal war ich nicht zufrieden, also alles wieder runter und neu gemacht - perfekt. So bin ich ganz mutig zum ersten Mal geschminkt ins Büro gefahren. Auch hier wurde nichts bemerkt, zumindest wurde ich nicht darauf angesprochen. Selbst mein Vorgesetzter, mit dem ich kurz sprach war ganz normal. Für was schminkt man sich eigentlich, wenn es keiner bemerkt???

Heute bin ich wegen meiner Füße noch beim Röntgen. Und dann muss ich bei meiner Ärztin wieder einen Termin machen. Ob sie sich schon schlau gemacht hat? Angerufen hat sie jedenfalls noch nicht. Traurig bin ich auch, weil ich noch immer nichts von der Beratungsstelle gehört habe, obwohl ich das E-Mail wie auf deren Homepage beschrieben an die Zentrale E-Mailadresse dafür geschickt habe.

Zwischen dem letzten Satz und dem jetzigen habe ich mir neues Teewasser aus der Büroküche geholt. Der Block, in dem ich diese Aufzeichnungen geschrieben habe lag offen auf meinem Schreibtisch liegen, unbewusst. Risiko! Wenn hier jemand die oberen Zeilen gelesen haben sollte, brauche ich mich wirklich nicht mehr im Büro zu outen, dann weiß es jetzt jeder. Irgendwann werden es die Kollegen ja eh erfahren, aber ich hoffe das ich sie informieren werde und sonst niemand.

Ich habe noch zwei weitere Ziele gefunden, die ich verfolgen werde.
1) Ich lasse die Haare wachsen egal wohin, also die am Kopf. Ich hoffe, das Funktioniert, denn mit den Haaren wie jetzt komme ich als Frau nie durch.
2) Ich will endlich meinen Bauch wirklich los werden. Überall bin ich total schlank, nur der Bauch wird immer größer. Das passt irgendwie nicht zusammen.

Am Freitag hatte ich übrigens Kleid Nummer 3 abgeholt. Sehr elegant, passt auch fast perfekt nur die Ärmel sind etwas kurz. Aber das ist nicht so schlimm, Auch hier fehlt es halt an den richtigen Stellen an der Hüfte.. Was ich jedenfalls gelernt habe in den letzten Tagen ist, es ist verdammt teuer, wenn man anfängt, und ich fange ja nur im Kleinen an, eine Frau zu sein/werden. Ich habe in die letzten Tagen viel Geld investiert und habe praktisch gesehen noch nichts, womit ich eine einzige Woche als Frau leben könnte. Da fehlt einfach alles, wenn man bedenkt was Frau so alles anzieht. Das ist die ganz normale Alltagskleidung, was fürs Büro, fürs Ausgehen, Unterwäsche, Schuhe, Handtaschen ect. Wenn man sein Leben praktisch bei Null beginnt wird das schon eine riesige Herausforderung. Wenn ich den Schritt gehe möchte ich es auch richtig machen und nicht nur halbe Sachen. Schlimmstenfalls brauche ich ja auch eine neue Wohnung, und die muss auch eingerichtet werden. Daran möchte ich am liebsten gar nicht denken, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt ist doch recht hoch.

Dennoch sagt mir mein Herz, dass ich diesen Weg gehen muss. Es ist mein zweites Leben, das auf mich wartet.

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