Samstag, 1. Mai 2021

Was wichtig ist, und was nicht mehr

Die Zeiten ändern sich, ich ändere mich und damit auch Prioritäten. Sachen die früher wichtig waren, rücken zunehmend in den Hintergrund. Anderes rückt in den Fokus nach. Habe ich Jahrzehnte damit verbracht, mit meinem Schicksal zu hadern und gehofft irgend wann etwas daran ändern zu können, habe ich die letzten Jahre meinen Fokus darauf gelegt das Realität werden zu lassen. Ich habe in den letzten Jahren viel über mich gelernt. Ich habe viel Selbstreflektion betrieben, vieles an mir hinterfragt, erkundet, neu gelernt und neu bewertet. Ich habe  erkannt, dass ich kein Freak bin, das ich nicht krank bin, das ich nicht anders bin, das ich eine ganz normale trans Frau bin. Daran ist nichts falsch oder verkehrt. Damit habe ich meinen Frieden geschlossen, als ich mich nach langem ringen mit mir das endlich akzeptieren konnte. Dinge ergaben damit einen Sinn. Alles hatte damit einen Namen und für mich einen Sinn und ich konnte endlich etwas tun, damit ich die Frau werden konnte, die ich immer war, aber dies auch nun in Freiheit und Selbstbestimmung leben kann. Das ist für mich ein großes Geschenk. Es war nicht immer leicht den Weg zu gehen. Es hat gerade in den ersten Jahren quälend lange gedauert. Oft ging gar nichts voran, dann nur in mini Schritten oder wieder einige Schritte zurück. Auch die familiären Probleme waren und sind sehr schmerzhaft. Es tut mir immer noch extrem weh, nicht mehr mit meiner lieben Ex zusammen zu leben. Auch wenn wir sowas wie beste Freundinnen sind oder vielleicht ein wenig mehr, so leben wir doch getrennt von einander und die Aussichten das jemals wieder zu ändern sind nicht gerade hoch. Und so nagt die fast tägliche Einsamkeit an mir und zermürbt mich. Es geht mir einfach nicht gut ohne sie und ständig so alleine. Dazu kommt, dass ich ja noch immer keine Arbeit gefunden habe. Gut ich habe erst vor eine paar Tagen, als es mir nach der zweiten GaOP wieder gut ging damit angefangen nach etwas neuem zu suchen. Aber auch das ist in der Coronazeit alles andere als einfach, auch wie das, was ich in den letzten Jahren beruflich getan habe eben sehr speziell auf den alten Arbeitgeber abgestimmt war. Nun gut, ich gebe nicht auf, es wird sich schon was finden. Ich hoffe nur, dass die Suche nicht zu lange läuft...
Gut zum Thema Prioritäten zurück. Das sind also die neuen Prioritäten für mich: eine langfristig Partnerschaft mit einem lieben Menschen, eine neue Arbeit und ein ganz normales Leben. Ich denke das was ich die letzten Jahre mit gemacht habe, so schön auch einige Sachen dabei waren, das reicht auch dann fürs Leben. Ich weiß natürlich, das es ein ruhiges Leben die nächsten Jahre auch nicht geben wird, und das nichts leicht sein wird, von dem was kommt. Vielleicht haben mich die vergangen Jahre auch stärker gemacht, stärker als viele andere Menschen. Sich diesem Weg stellen und all das auf sich zu nehmen, was da von einem abverlangt wird, ist nicht für jeden. Andererseits, empfand ich es selbst nie als besonders schwer, abgesehen das familiäre. Das war das schwerste Überhaupt und das mit Abstand traurigste in meinem Leben. Aber die Transition an sich verlief problemlos und ruhig und gerade ab Herbst 2019 sehr zügig. Wenn ich denke, dass ich seit Oktober 2019 erst 24/7 als Frau offen nach außen leben kann und seit Juni 2020 rechtlich Frau bin und im September 2020 die geschlechtsangleichende Operation hatte, dann ging das schon extrem schnell. Das dem ganzen aber ein langer Prozeß vorausgegangen war, das darf man dabei nicht vergessen. Auch nicht, das ich meiner Sache immer extrem sicher war. Momente des Selbstzweifel gab es sicherlich, ganz kurz, aber ich war mir, seit ich mich akzeptiert hatte immer sicher, was das Ziel sein wird. Das große Ziel. Gibt es das einzige große Ziel dabei überhaupt? Kann man so schlecht sagen. Es ist ja nicht ein Ziel das man hat, wie zum Beispiel die OP - zack und gut is. Nein, es geht ja in erster Linie darum, so frei und glücklich mit seinem Körper und seinem Geist zu leben, wie alle Menschen die nicht trans sind auch. Ich habe Jahrzehnte darunter gelitten, dass ich wusste das mein ich eigentlich weiblich - eine Frau bin, aber ich mit einem männlichen Körper auf die Welt kam. Dieser ständige innere Konflikt mit diesem Wissen unterdrückt so leben zu müssen hat mir viel Leid zugefügt, bis ich mich entschlossen habe das zu ändern. Das zu ändern ist ein langsamer Prozess. Das schöne daran ist, sich mit sich selbst sehr ausführlich zu beschäftigen. In sich tief hinein zu hören, sich selbst zu reflektieren, sich zu erkennen und zu sich selbst zu finden. Ich habe diesen Prozess zum großen Teil abgeschlossen, auch wenn er nie zu Ende sein wird. Aber er bestimmt nicht mehr mein tägliches Leben. Ich hinterfrage mich nicht mehr, was oder wer ich bin. Ich bin nur noch ich. Ich habe meinen Frieden mit mir gefunden. Ich kann mich endlich im Spiegel sehen und mich selbst erkennen und sehe nicht mehr in die traurigen Augen hinein, die ausbrechen wollten aus ihrem Gefängnis. Nein, ich bin frei geworden. Ja, ich habe noch Baustellen. Der Restbart, der Brustaufbau. Aber das ist nur eine Frage der Zeit geworden, nicht mehr als unerreichbares Ziel, so wie früher. Ich kann damit leben wie es ist, weil ich weiß das ich das auch noch erreiche. Aber es schmerzt nicht mehr wie früher, weil  ich frei geworden bin. Die Freiheit das zu sein, was man ist und das Leben zu können, ist die größte Freiheit, die man sich vorstellen kann. 

2 Kommentare:


  1. ich kann mich noch erinnern als wir anfingen uns zu folgen. Beim Lesen des Textes ist mir wieder eingefallen wie du woanders hingefahren bist, um als Frau rauszugehen. ♡

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  2. ...wenn man selbst als betroffene Transfrau dies alles liest, wird einem deutlich, wie weit weg von der Tatsache diejenigen sind,die sich Urteile erlauben.
    Ich war den größten Teil meines Lebens in der Öffentlichkerit tätig und musste oftmals Kompromisse schließen. Trotzdem haben viele in mir die Frau gesehen, ohne dass ich mich geoutet hatte. Dies kam erst später als ich meine eigene Chefin war.
    Ich bin evang. Theologin und Musikerin. In meinem chriftlichen Outing stehen zwei Sätze, die quasi mein Leifaden sind:
    1. Wenn es eine Pille gäbe, die mich von meinem weiblichen Empfinden ins Männliche verkehren würden, ich würde sie nicht nehmen.
    2.Ich danke meinem Gott, dass ich so bin, wie ich bin!

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